Am 6. April 2020 berichtete die Neue Zürcher Zeitung über ein in Kritik geratenes Entwicklungsprojekt der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit (NZZ 6.4.2020 Schweizer Entwicklungshilfe versagt bei Millionenprojekt in Burma).
Der Artikel richtet sein Augenmerk auf einzelne scheinbar fehlerhafte Aspekte in einem Entwicklungsprojekt. Inwiefern diese Kritik berechtigt ist, soll den verantwortlichen Behörden obliegen. Mein Beitrag zielt nicht darauf ab, über die dargelegten Sachverhalte zu urteilen.
Viel zentraler scheint mir zu beleuchten, dass aus diesem Artikel gefolgert werden könnte, dass die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) an sich ein fehlerhaftes und unprofessionelles Geschäft sei. Dies lässt am Ende den Schluss zu, dass die EZA als ganzes abgeschafft werden müsse.
Es gilt dabei zu bedenken, dass es im Sinne der EZA ist, in “nicht-perfekten” Kontexten zu arbeiten. Es liegt somit in der Natur der Sache, dass Entwicklungsprojekte über ihre Phasen hinweg korrigiert und angepasst werden müssen. Der EZA wird allerdings oft eine abstrakte Perfektion abverlangt. Dieser Anspruch an Unfehlbarkeit seitens der Öffentlichkeit, sowie die Angst vor Reputationsschäden seitens der EZA verhindern einen konstruktiven Diskurs und eine öffentliche Lernkurve.
Somit rückt dieser Artikel nicht bloss eventuelle Lücken innerhalb eines einzelnen Entwicklungsprojektes ins Zentrum, sondern die grundsätzliche Herausforderung der EZA, mit einem verfehlten Anspruch an Unfehlbarkeit behaftet zu sein. Die Verantwortung dafür tragen sowohl die Öffentlichkeit als auch Politik, Wirtschaft und Medien gemeinsam.
Dieses undifferenzierte Kritisieren von “Imperfektionen” in Entwicklungsprojekten missachtet den Wert der EZA. Denn nebst einer moralischen Verantwortung, die wir als privilegierte Gesellschaft gegenüber einer weniger privilegierten Weltbevölkerung tragen, ist sich die Öffentlichkeit kaum bewusst, dass es vielfach gerade die EZA ist, die politische Dialogfenster öffnet – und so auch Türen zu Freihandelsabkommen mit jenen Regierungen, welche Ressourcen für uns unverzichtbar gewordene Konsumgüter wie iPhones und Fast Fashion liefern.
Die EZA existiert nicht, weil die Welt perfekt ist, sondern deshalb, weil das globale System Imperfektionen und Ungleichheiten verursacht, denen die EZA versucht entgegen zu wirken. Ein hehrer Anspruch an die internationale Entwicklungshilfe, die einer globalen Wirtschaft gegenüber tritt, dessen Umsätze die Höhe von Entwicklungsgeldern um ein Vielfaches übertreffen. Allein 2018 haben die 500 stärksten Player im globalen Markt 32.7 Billionen USD Umsatz generiert (Fortune 500, 2018). Dem stand die weltweite EZA mit einem Budget von 150 Mrd. USD (OECD, 2018) gegenüber.
Natürlich entstehen durch das globale Wirtschaften für Millionen von Menschen in Entwicklungsländern auch lebenswichtige Jobs und Einkommen. Von den umsatzstarken internationalen Konzernen profitieren jedoch gerade die Industrieländer am meisten. So schätzt die OECD, dass von 2001 – 2010 rund 3.6 Billionen USD aus Schwellen- und Entwicklungsländern durch Steuervermeidung und Steuerflucht in Industrieländer geflossen sind (EDA, 2014). Andere Berechnungen besagen, dass allein 2017 rund 818 Mrd. USD, die im internationalen Handel erwirtschaftet wurden, in hochentwickelten Volkswirtschaften nicht registriert wurden (GIF 2020).
Zur Grössenordnung herrscht heute weitgehend Konsens, dass unlautere Finanzflüsse aus Entwicklungsländern die Mittel aus öffentlicher Entwicklungshilfe bei Weitem übersteigen.
Negative Schlagzeilen über einzelne Entwicklungsprojekte lenken deshalb letztlich vom tatsächlichen Problem ab: Dass die wahren Ursachen des globalen Ungleichgewichts ein auf unendliches Wachstum getrimmtes Weltwirtschaftssystem, machtvolle Player sowie unersättliches Konsumverhalten sind.
Solche Artikel bergen die Gefahr, einen Anspruch auf Vollkommenheit und Perfektion in der EZA zu erheben, die ihr Wirkungsfeld in einem geradezu imperfekten und lückenhaften globalen System hat.
Medienberichte wie diese vermögen letztlich in den Köpfen der Leserschaft die Verhältnisse gar so darzustellen, dass die EZA selbst als Ursache für globale Missstände gesehen wird. Sie prägen damit die Vorstellung, dass die Abschaffung der Entwicklungshilfe ein globales Problem lösen würde. Das ist eine heimtückische Schlussfolgerung.
Denn die Abschaffung der EZA ist kein Mittel, um die Welt ins Lot zu bringen. Sie würde globalen Playern und uns Konsumierenden lediglich jene toten Winkel verschaffen, die es ermöglichen, noch unbeobachteter von Rohstoff liefernden Entwicklungsländern und Billiglohnländern zu profitieren.
Es geht also vielmehr darum, uns Konsumierende selbst für die negativen Konsequenzen eines globalen Weltwirtschaftssystems verantwortlich zu machen – und den Wert einer “nicht-perfekt” agierenden EZA anzuerkennen.
Quellen:
OECD 2018: http://www.oecd.org/development/development-aid-drops-in-2018-especially-to-neediest-countries.htm
Fortune 500, 2018: https://fortune.com/global500/
EDA 2014: https://www.eda.admin.ch/dam/deza/de/documents/publikationen/briefing-papers/dp-brief-4-2014_DE.pdf